Kreatives Schreiben: „An Inspiration mangelt es nie – nur an Aufmerksamkeit“

Schreiben? Ich? Kreatives Schreiben ist keine Hexenkunst, sagt Lucia Henke, die seit Jahren auf ihrem eigenen Blog schreibt. In Seminaren bringt sie Interessierten bei, wie sie ihre künstlerische Schreibader entfalten. Hier erzählt sie uns, was es mit der Liebe zu den Wörtern auf sich hat.

Mann in Anzug mit Laptop, aus dem Farben explodieren

Schreiben – nur etwas für Auserwählte?

Schreiben kann ich nicht! Ob einem das in der Schule gesagt wurde oder der Glauben auf der Absage basiert, die man damals vom Verlag zu seinem eingeschickten Manuskript bekommen hat – schreiben zu können, gilt als Ausnahmetalent. Mangel an Kreativität und Können geben die meisten als Grund dafür an, den Stift in der Schublade zu lassen.

Lucia Henke, gelernte Bauingenieurin, leidenschaftliche Leserin und Teetrinkerin glaubt nicht daran. Sie studiert Kulturwissenschaften an der Fernuniversität und schreibt nebenher auf ihrem Blog „Schreibtischwelten“ – frei, kreativ und poetisch.

Wir wollten wissen, was sich hinter den schönen Wörtern verbirgt und haben mit ihr über ihre Gedichte, sich selbst ausfüllende Formulare und ihre Kurse gesprochen, in denen sie anderen hilft, ihr Schreibpotential zu entfalten.

Stylonic: Inspiration wird als etwas Plötzliches, Sporadisches gesehen. Was inspiriert dich zum Schreiben?

Lucia: Was nicht? Mir fällt nichts ein, was nicht inspirierend sein könnte. Es kommt immer auf meinen Blick an, was mich gerade beschäftigt und interessiert. Wie offen ich bin. Das ist das eigentliche Problem: Ich bin zu beschäftigt, zu abgelenkt oder zu müde. Es fehlt an Aufmerksamkeit – an Inspirationen fehlt es nicht.

Stylonic: Gibt es bestimmte Methoden, um kreatives Schreiben zu fördern? Was hilft dir?

Lucia: Natürlich, ganze Regalmeter sind voll wunderbarer Bücher, die solche Methoden beschreiben. Die Königsdisziplin für mich ist das Freie Schreiben, bei dem ich einfach meinen Gedankenstrom aufschreibe – ohne abzusetzen, ohne zu kritisieren und ohne zu korrigieren. Das fällt den Meisten anfangs schwer. Doch es lohnt sich, das zu trainieren. Denn so komme ich beim Schreiben in tiefere Schichten meiner Gedanken. Ohne dass der innere Oberlehrer ständig bekrittelt, wachsen mutigere Sätze. Am wichtigsten finde ich aber, dass ich neugierig bleibe. Wenn ich die Antworten alle schon kenne, wird es ein langweiliger Text.

Kugelschreiber auf dicht beschriebenes Ringbuch

Freies Schreiben kann einschüchternd wirken, doch sobald die Blockade gebrochen ist, können die Worte ungehindert fließen.

Stylonic: Was muss man denn beachten, damit ein Text lebendig wirkt?

Lucia: Gibt es da Patentrezepte? Lieber nicht, denn das führt zu Standardtexten, die ja selten lebendig wirken. Wenn ich beim Schreiben mit meiner eigenen (Schreib-)Stimme schreibe, ist das schon viel wert.

Je länger man schreibt, zum Beispiel in einem Blog, desto besser kann man sich selbst überprüfen und schauen, welche Muster immer wieder kommen. Welche Phrasen schleichen sich ständig ein? Ein bisschen experimentieren bringt neues Leben in die Schreibe. Zum Beispiel kannst du mit den Formen spielen: Statt einem Bericht über den Frust im Büro schreibst du einen Brief an deinen Computer oder eine Petition zur Erfindung der sich selbst ausfüllenden Formulare.

Stylonic: Du verbindest deine Texte und Gedichte häufig mit einem Bild. Was kommt zuerst, das Bild oder der Text?

Lucia: Über diese Frage habe ich lange nachgedacht. Ich weiß es nicht. Vielleicht kann ich das für mich nicht trennen? Ich nehme Worte oft sehr bildlich wahr. Allerdings ist es auch so, dass ein Bild ein Gefühl auslöst und dieses Gefühl dann zum Text führt.

Gemälde "Heimat" von Stefanie Seltner

Auch dieses Gemälde der Künstlerin Stefanie Seltner inspirierte Lucia zu einem Gedicht, das ihr hier findet.

Stylonic: Deine Texte regen zum Nachdenken an und werfen Fragen auf. Wie wichtig ist für dich ein tieferer Sinn in deinen Texten?

Lucia: Naja. Ich setzte mich nicht hin und sage: „Jetzt schreibe ich einen tiefsinnigen Text.“ Eher ist es so, dass mich etwas berührt oder umtreibt, also tiefer geht. Daraus kann natürlich kein oberflächlicher Text entstehen.

Stylonic: Es gibt diese Tage, in denen man vor der großen weißen Leere sitzt und die Worte einfach nicht fließen wollen. Man fängt an, verwirft alles und beginnt wieder von vorne. Kennst du diese Tage auch und was machst du dagegen?

Lucia: Und ob ich diese Tage kenne! Sie machen mich regelmäßig wütend. Ich habe aber neulich etwas entdeckt: Die Akkus in meinem Fotoapparat waren leer, also steckte ich sie ins Ladegerät. Und musste lachen, weil ich mir vorstellte, die Akkus würden mich wütend anschreien: „Wir wollen nicht diese langweilige Aufladeprozedur mitmachen. Wir wollen wieder in den Fotoapparat und was tun!“

Tage, an denen die Worte nicht fließen wollen, sind solche, die ich jetzt als eben solche Aufladezeiten sehe. Wenn nichts da ist, kann nichts fließen. Mein Inneres ist leer geschöpft, ich bin erschöpft. Da kann ich nur Geduld haben. Oder ich tue etwas ganz anderes. Ein Ortswechsel und einige neue Eindrücke wirken bei mir schon sehr aufladend.

Alte Schreibmaschine mit leerem Papier eingespannt

Die Angst vor der leeren Seite – vielleicht gar kein Grund, Angst zu haben, sondern einfach aufzustehen und sich neue Inspiration zu holen.

Stylonic: Was ist das Besondere daran, einen Blog zu schreiben?

Lucia: Es gibt ja die Diskussion, wieviel ein Blog mit einem Tagebuch gemeinsam hat. Ich denke, ein Tagebuch schreibt man für sich selbst, ein Blog dagegen ist für die Öffentlichkeit gedacht. Mit einem Blog kann man Entwicklungen und Prozesse sehr gut begleiten. Hier stehe ich und dorthin bin ich unterwegs. Was ich dabei lerne und erlebe, teile ich mit meinen Lesern. Ich empfinde das als sehr motivierend für die eigenen Projekte. Die Gemeinschaft, die durchs Bloggen entsteht, ist bereichernd. Deshalb bin ich froh, im Zeitalter des Internets zu leben. Bloggen ist mein Ding.

Stylonic: Du unterrichtest ja auch kreatives Schreiben. Worum geht es in deinen Kursen?

Lucia: Bei meinen Kursen geht es vor allem darum, die Teilnehmer zu ermutigen. Sie sollen sehen: Schreiben ist keine Zauberei, Schreiben macht Spaß. Alle, die zu meinen Kursen kommen, wollen gerne schreiben und haben verschiedene Probleme damit. Zu wenig Zeit, zu wenig Mut, zu wenig Wissen, wie man anfängt. Wir lernen Kreativitätstechniken kennen, wir erarbeiten Strategien, um am Ball zu bleiben und so weiter. Die Gemeinschaft hilft dabei sehr.

Vielen Dank an Lucia Henke für das Interview! Habt ihr Fragen oder eigene Erfahrungen mit dem kreativen Schreiben, die ihr mit uns teilen wollt? Dann hinterlasst uns doch einen Kommentar!

 

Bilder:

© iStock.com / alphaspirit; Minerva Studio; AlexRaths

© Stefanie Seltner