Fotos machen kann nicht jeder!

Kameras gehören zu den modischen Accessoires des Hipstertums wie Schnurrbärte, Eulen oder Skinny Jeans. Auch kaum ein Blogger existiert, der nicht meint, Dank Digitalkamera und iPhone könne er nicht nur schreiben, sondern auch noch fotografieren. Fotos machen kann heute gefühlt jeder – ist ja schließlich auch mega einfach dank Handycam und Anti-Schock. Faktisch völlig falsch! Das beweisen echte Fotos immer wieder, denn sie sind Kunst, sind Hingabe, sind schön.fotografie1

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Gemaltes Licht: Egal ob digital oder analog

Klar, die Fotografie wurde durch das Digitale revolutioniert. Heute kann sich der Durchschnittsdeutsche eine Digitalkamera locker leisten und für wenige hundert Euro auch ein richtig starkes Gerät kaufen. Die dabei entstehenden Fotos wollen gezeigt werden und die gefühlten Milliarden Blogs der Welt tun das auch. Aber nicht jedes Bild ist dabei auch wirklich sehenswert. Kunst ist das keine mehr. Das Magische des Fotos ist der Moment, der darauf zu sehen ist. Was wir sehen, lässt uns fühlen, was dort war. Doch nicht jeder hat den Blick für eben diesen Augenblick. Im Interview mit Fotografin Christine Polz haben wir unter anderem über genau diesen Moment gesprochen.

Den Moment sehen…

Licht, das sanft eine Wiese küsst; der Wind in den Laubbäumen oder ein simples Stillleben: Manche Momente würden wir alle sehen, könnten sie allein angesichts mangelnder Fähigkeit nicht einfangen mit der Kamera. Christine kann. Doch für sie als Modefotografien gehört oft auch eine Menge Vorbereitung dazu, damit schöne Bilder entstehen können: „Generell mach ich mir im Vorfeld schon recht viele Gedanken zu den Kleidern, der Frisur usw. und bespreche mich dahingehend auch mit den involvierten Personen, um neue Anstöße zu bekommen. Dazu erstelle ich dann ein Moodboard und jeder bringt eben noch seine ganz eigenen Ideen mit ein. Aber letztlich sind es gerade die Momente, wenn man zwar alles durchgeplant hat, aber sich ganz spontan gewisse Posen oder Setanordnungen entwickeln, die dann meistens die besten Fotos ausmachen. Vorbereitung ist wichtig, aber man sollte beim Shooting auch immer offen und flexibel genug für neue Ansätze sein, da manchmal eben gewisse Posen dann doch nicht so wirken wie gedacht. Für mich spielt neben der Planung, die eben gerade bei Shootings bei denen es auf gewisse Aspekte ankommt, wie zum Beispiel gut sichtbare Kleidung, unerlässlich ist, auch die Intuition eine große Rolle. Und gerade bei Reisen fotografiere ich ganz ohne nachzudenken und versuche einfach nach Möglichkeit einen besonderen Moment einzufangen.“
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Ein gutes Auge für Motive ist in der Fotografie unverzichtbar, doch kann man dieses „Sehen“ erlernen oder durch Technik ausgleichen? „Die Technik kann man lernen, aber das Sehen nicht. Vor allem ist die Technik an sich für jeden die Gleiche; wenn man sich von der breiten Masse abheben will, ist als eine ganz eigene Sichtweise auf die Dinge das Einzige was dabei hilft. Natürlich gewinnt man mit der Zeit an Erfahrung dazu und begreift nach und nach wie man beispielsweise gewisse Gesichtsformen am besten zur Geltung bringt und welche Perspektiven vorteilhaft sind. Aber ob man das Besondere eines Ortes oder eines Menschen sieht und einfangen kann, ist meiner Meinung nach eine Gabe, die man entweder hat oder eben nicht. Das kann einem im Gegensatz zu Technik kein Buch erklären und niemand beibringen. Gerade deswegen können uns eben auch technisch nicht herausragende Bilder ansprechen, weil sie einen besonders bewegenden Moment, einen überraschenden Augenblick oder eine schöne Stimmung einfangen.“

Fotografie als Beruf

fotografie2Ganz offensichtlich scheint Fotografie die Leidenschaft unserer Generation zu sein. Vielleicht liegt das auch an Facebook und Co, dass wir schon früh anfingen, uns in selbstdarstellerischer Pose zu präsentieren. Doch zum echten Fotografen reicht es dann bei kaum einem, denn gleichermaßen strebt unsere Generation nach Sicherheit. Für Christine dagegen war schnell klar, dass sie nach dem Abitur etwas Kreatives machen möchte – Grafikdesign etwa wäre eine Möglichkeit gewesen. Doch die Fotografie reizte sie mehr und das Talent war gegeben. Vorab hat Christine zwar immer eine Idee für das Shooting – doch die verschiedenen Menschen am Set prägen das Bild am Ende ebenfalls.

„Der schönste Moment beim Shooting ist immer der, wenn alles (Styling, Kleider, Model…) zusammen kommt und man genau spürt: das ist es! Wenn man unter dem Fotografieren bereits merkt, dass man wirklich mit der Arbeit zufrieden ist und tolle Fotos dabei entstehen werden.“ Sets in der Öffentlichkeit regen zusätzlich auch fremde Personen dazu an, etwas „beitragen“ zu wollen. „Beim Fotografieren irgendwo in der Öffentlichkeit zieht man natürlich unweigerlich die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. An Anmachsprüchen von Männern habe ich also schon so ziemlich alles, was die Situation hergibt, zu Ohren bekommen. Von „Braucht ihr noch Hilfe?“ (bei einem oben-ohne-Shooting) bis hin zu ernsthafter Verfolgung und der Bitte doch ein paar Fotos per Post zugeschickt zu bekommen oder gar einer alten Lady, die uns ihren Hund mit auf das Foto gehetzt hat („Gib dem Fräulein doch mal ein Küsschen!“), war da so einiges an lustigen Zwischenfällen dabei.“

Und wovon träumen Fotografen nachts?

fotografie1Ähnlich wie bei anderen Kunstformen, haben auch Fotografen meist Vorbilder, die sie inspirieren oder begeistern. Zusätzlich gibt es aber auch noch bestimmte Models, mit denen man gerne mal zusammenarbeiten möchte. Bei Christine wäre das Lilly Cole, Cara Delevingne oder Kate Moss oder der Schauspieler Jeff Bridges, obwohl sich bei solch „bekannten Hunden“ auch die Gefahr auftut, kein wirklich einzigartiges Foto mehr schaffen zu können. Toll fände es die Fotografin deshalb auch, einmal selber einen großen Star zu entdecken: „Allerdings träume ich heimlich viel mehr davon irgendwann einmal selbst ein Mädchen, das ein ganz eigener und spezieller Typ ist und sich zu einem wirklich guten Model entwickelt, zu entdecken und als eine der Ersten zu fotografieren.“

Konzeptionell dient Christine der Fotograf Tim Walker als Vorbild. Sie selber würde auch gerne einmal mit Theater- und Filmkulissen arbeiten: „Ich liebe die märchenhaften Traumwelten der Fotos von Tim Walker. Er war definitiv der Fotograf, der mich erst dazu gebracht hat, mich näher für die Fotografie zu interessieren. Ich finde bis heute jedes einzelne seiner Fotos sehr faszinierend und vor allem die Tatsache, dass er bis heute auf digitale Hilfsmittel verzichtet, analog fotografiert und daher seine Ideen mit samt all der Requisiten auch tatsächlich existieren und er für seine Fotos komplette Traumwelten ins Leben ruft, macht ihn für mich zu einem absoluten Ausnahmefotografen. Einer der wenigen in der Modefotografie, dessen Fotos mehr Sein als Schein zeigen und wirklich jenseits aller aktuellen Trends außergewöhnlich sind.“

Danke für Interview und Bilder an (c) Christine Polz

Lieschen