Tierisch moralisch? 5 Veganer Vorurteile auf dem Prüfstand

Wir stellen vor: Jörg und Nadine. Jörg ist ein bisschen Nerd, Nadine ein wenig schokoladenabhängig, und beide sind nun schon seit vielen Jahren glücklich verliebt – in das neckische Phänomen „Veganismus“. Aus Schmetterlingen im Bauch wurde Liebe, aus Liebe wurde Hingabe und aus Hingabe wurde vor einigen Jahren ein liebevoll betreuter Blog rund um vegane Koch- und Lebenskunst. Aber die wollen uns doch nur einlullen! Zeit für knallharten, investigativen Lifestyle-Journalismus: Sind Veganer heuchlerische, essgestörte Moralapostel wider der Natur?

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Veganismus: Moderscheinung oder knallharter Kohl auf dem Kopf?

Erst einmal halblang

Sind Fleischfans denn kaltblütige, moralisch verdorbene, übergewichtige Mörder? In einen Kampf der Extreme begibt man sich in Deutschland immer gerne, denn so kann man seinen eigenen Standpunkt in Stein meißeln, ohne neues Wissen zu erwägen und die Fakten zu kennen. Die Versöhnung kann nur durch bessere Kommunikation und Aufklärung verwirklicht werden. Auch die zwei Blogger Jörg und Nadine haben gemerkt, dass sie dank rasch gestiegenem Medieninteresse mit neuen Informationen und Studien viel weniger ungläubige Blicke ernten, als noch vor einigen Jahren, wenn sie laut „Tofu-Burger“ sagen. Mit ihrem „eat this!“-Blog schreien sie solche Worte noch lauter in die Welt hinein und geben liebevolle Kochtipps für Veganer – und solche, die es werden wollen. Schreiten wir also mit ihnen weiter und klären wir die unverschämtesten und die wirklich wahren Behauptungen über Veganer auf.

1. Veganer sind chronisch unterernährt

Ja, es gibt einige Dinge, auf die Veganer bei ihrer Ernährung achten müssen. Das sind vor allem der Mangel an B12, Kalzium, Eisen, Eiweiß, Omega-3-Fettsäuren und Vitamin D (Quelle), der durch den vollkommenen Verzicht auf alle tierischen Produkte sowie Fleisch verursacht wird. Eine schöne Grafik für die Erklärung der verschiedenen Ersatzstoffe und Quellen für Protein, Calcium, etc. gibt es bei peta2.de. Es zeigt sich: Keine Produkte der fleischhaltigen Ernährung sind für Veganer nicht ersetzbar. Auch das fast ausschließlich in Fleischprodukten enthaltene Vitamin B12 können Veganer durch bestimmte Algen wie Nori oder Chlorella oder aber durch künstlich hergestelltes B12, das Studien zufolge gut vom Körper absorbiert wird, ersetzen. Am Ende heißt das also nur: Veganer ernähren sich bewusster und somit oftmals viel ausgewogener als Fleischesser. Dennoch empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung während der Schwangerschaft sowie in der Wachstumsphase den Verzehr zumindest geringer Mengen Fleisch und Fleischprodukte.

2. Veganer leben gesünder und sind aktiver

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Nadine und Jörg bei der, sagen wir mal, Arbeit.

Vegane Ernährung wird immer wieder eng mit einem verminderten Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck und Krebs in Verbindung gebracht (nachzulesen zum Beispiel bei den Adventist Health Studies), da Veganer weniger gesättigte Fettsäuren und Cholesterin (die beiden alibilosen Hauptverdächtigen bei diesen Zivilisationskrankheiten) sowie mehr Obst, Gemüse, Ballaststoffe, Nüsse und sekundäre Pflanzenstoffe zu sich nehmen.

Eine Studie australischer Forscher belegte im Februar dieses Jahres außerdem den Zusammenhang zwischen Ernährungsgewohnheiten und der Leistungsfähigkeit von Kindern in der Schule. Die so genannte „Western Diet“, ein Ernährungsstil, der von Fleisch- und Milchprodukten, Fastfood und extrem zuckerhaltigen Produkten geprägt ist, beeinflusste die Hirnleistung dabei deutlich negativ, während eine obst- und gemüsereiche Kost für bessere Testergebnisse sorgte (Quelle).

3. Veganer sind Moralapostel

Es stimmt, viele Veganer entschließen sich aus ethischen Gründen zum Verzicht auf tierische Produkte, doch ganz im Gegenteil zum Klischee, gehen die allermeisten Veganer nicht mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt. Sie sind vielmehr Vertreter der „Leben und leben lassen“-Philosophie, weshalb sie Tieren kein Leid zufügen wollen. Studien haben übrigens ganz im Sinne des Veganismus ergeben, dass eine Einschränkung des Verzehrs von Tier- und Milchprodukten zu einer radikalen Verringerung der Ausschüttung von Treibhausgasen und somit zu einer großen Erleichterung für die Umwelt führen würde. Zwar stehen solche ethischen Bedenken rund um Klimaschutz, Tierschutz und dem Schutz der Menschenrechte (Stichwort Fair Trade) im Vordergrund der veganen Ernährung, das Hauptanliegen ist jedoch die Aufklärung, und nicht die Anschwärzung.

Klar ist übrigens auch: Die meisten Veganer sind besser über das informiert, was sie essen. Und das ist ein entscheidender Vorteil. Denn die Krise der Lebensmittelherstellung lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass Menschen gar nicht wissen wollen, woher das Huhn im Supermarktgefrierfach oder die Tomate vom Obsthändler kommen. In Ignoranz lebt es sich schließlich herrlich unbekümmert! Veganer werden folglich vor allem deswegen als Moralapostel dargestellt, weil sie anderen Menschen vorleben, wie es anders geht. Mutter der Anschuldigung ist hier, wie so oft, das schlechte Gewissen.

4. Vegan ist nur etwas für Disziplin-Junkies

Dass die Umstellung auf eine vegane Lebensweise nicht leicht fällt, ist vor allem der Gewöhnung zuzuschreiben. Man gewöhnt sich ja bekanntlich an alles. Der Prozess der Entwöhnung und Neuangewöhnung ist aber – Wille vorausgesetzt – beim Veganismus nicht schwieriger als bei anderen Dingen. Nadine und Jörg meinen dazu:

Der „Umstieg“ ist nicht so schwer, wie es häufig heißt – lasst euch da nichts vormachen! Mit ein wenig Interesse an den Produkten, die ihr kauft (angefangen bei Lebensmitteln, bis hin zur Kosmetik) hat man schnell den Dreh raus, was „ok“ ist und von was man die Finger lassen sollte.

5. Veganer leben wider die Natur

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Der Kampf der Tellergiganten.

Dieses Argument taucht viel häufiger auf, als man denkt. Gemeint ist, dass viele Menschen glauben, der Mensch lebe seit jeher von Jagdbeute und fleischhaltiger Ernährung, ein Allesfresser eben. Tatsächlich sprechen die Anatomie des Menschen sowie sein großes, energiebedürftiges Gehirn für eine fleischhaltige Kost in der Vergangenheit. Doch die Welt hat sich verändert, wir haben dank neuem Wissenstand und Globalisierung andere, früher undenkbare Möglichkeiten, unsere Ernährung zu ändern. Und die andere traurige Wahrheit ist: Die meiste Ernährung ist heutzutage „unnatürlich“: Massenproduktion, Pflanzenzucht, etc. haben nichts mehr mit dem Leben von „damals“ gemeinsam.

Gibt es eine Zukunft für den Veganismus?

Jörg und Nadine wünschen sich vor allem eins für ihre vegane Zukunft: Mehr Käse-Alternativen. Diese ließen noch immer stark zu wünschen übrig. Und wir sehen hellseherisch in die Zeitmaschine: Vegane Lebensweisen sind keine Eintagsfliege! Nahrungsmittelskandale, Überfischung, Ozonschichtbeschädigung, Geldgier, Korruption und die nicht mehr zu verleugnende radikale Ausbeutung von Arbeitskräften und des Planeten haben vielen Menschen die Augen geöffnet und werden noch viele weitere erkennen lassen, dass es Zeit für einen Wandel ist – der bei einem selbst beginnt.

Probieren geht über kritisieren!

Doch bevor wir nun in Endzeitstimmung verfallen, empfehlen wir allen Veganern und Nicht-Veganern, allen Busfahrern und Managern, allen Menschen, die ihre Zunge rollen können und allen, die es auch beim tausendsten Versuch nicht schaffen, wärmstens, eine Schnuppertour durch den „eat this!“-Blog zu unternehmen. Das Lieblingsrezept der Blogger selbst: „Linguine mit gerösteter Kürbis-Sauce“. Diesen Sommer soll außerdem ein Kochbuch mit Jörg und Nadines veganen Leckerbissen erscheinen – insofern die beiden denn bei all ihrer unnatürlichen Unterernährung überhaupt den Frühling überstehen…

 

 

 

Bilder: Shutterstock.com/iko/kreatorex, eat-this.org

Marie